Es war die bislang einzige Weltausstellung in Deutschland und sollte Hannovers Image aufpolieren. Doch bereits während der Expo 2000 zeichnete sich ein anderes Bild: Erwartungen wurden verfehlt und die Nachnutzung der Pavillons nicht geklärt – es gibt aber auch positive Effekte der Weltausstellung. Und auf dem ehemaligen Gelände ist viel in Bewegung.
Leuchtend orangene, um Baumstämme gewickelte Bänder flattern im kalten Wind, der durch zerbrochene Glaswände und nur noch lose befestigte Holzgeländer pfeift. Das 40 Meter hohe Gebäude wird von einem meterhohen Metallzaun umringt, der nicht das Bauwerk selbst, sondern vor allem Interessierte schützen soll. „Betreten verboten“ – neben einem Schild unterstreicht auch der Stacheldraht am oberen Ende des Zauns diese Botschaft. Und das alles, obwohl der ehemalige Holländische Pavillon trotz seiner Baufälligkeit im strahlenden Sonnenschein weiterhin imposant wirkt. Er gilt als heimliches Wahrzeichen, symbolisch für die Weltausstellung damals und heute.
Und er zeigt, dass hier am Expo-Gelände etwas nicht so recht zusammenpassen mag. Keine hundert Meter vom einsturzgefährdeten Pavillon werden Luxusautos einer italienischen Traditionsmarke verkauft. Etwas südlicher stehen zerstörte Gebäude neben umgebauten Pavillons; dazwischen finden sich immer wieder weite grüne Flächen ohne jegliche Verwendung. Entstanden ist das gesamte Gelände für die Weltausstellung, die im Jahr 2000 in Hannover stattfand. Für sie wurde der noch freie Bereich am Kronsberg zum größten Messegelände der Welt. Dass Hannover überhaupt den Zuschlag für die Expo 2000 erhielt, war angesichts der Konkurrenz aus Toronto etwas überraschend – und die Pläne zugleich umstritten. Letztendlich setzte sich der damalige Oberbürgermeister der Stadt, Herbert Schmalstieg, zusammen mit Generalkommissarin Birgit Breuel durch, beim Bureau International des Expositions (BIE) erhielt Hannover eine Stimme mehr als der kanadische Mitbewerber. Es ist damals wie heute die einzige vom BIE anerkannte Weltausstellung in Deutschland. Entsprechend groß waren beim deutschen Debüt die Pläne: 40 Millionen Besucher sollten auf 160 Hektar Fläche die Vielfalt der Welt, bestehend aus 155 teilnehmenden Ländern, bestaunen. Als Maskottchen der Expo 2000 wurde „Twipsy“ erschaffen, die Ausstellung stand unter dem Motto „Mensch – Natur – Technik“ – damit sollte bewiesen werden, dass alles miteinander verbunden ist und im Einklang steht. Zudem wäre laut den Planern auch eine Nachnutzung, eines der größten Probleme von Weltausstellungen, hier problemlos möglich.
Viele leere Grünflächen statt bunten, nachgenutzten Pavillons
20 Jahre später sieht es auf dem Gelände so aus, als hätte die Natur überhandgenommen und die Menschen verdrängt, während die Technik (von damals) blieb. Von dem Konzept der Nachnutzung ging lange Zeit nicht vieles auf. Viele der Pavillons verfielen mit der Zeit, der große IT-Boom am Standort blieb aus. Nach ersten erfolgslosen Jahren wurde für die Vermarktung der Grundstücke eine eigene Firma gegründet. Zuständig ab dem Jahr 2004 war die Expo Grund, eine Tochtergesellschaft des städtischen Wohnungsunternehmens Hanova. „Es ging nur um die unbebauten Grundstücke, die Grundstücke mit Pavillons wurden häufig von Privatleuten gehalten“, sagt Hanova-Geschäftsführer Karsten Klaus. „Bei den Pavillons haben wir aber auch vermittelt, da wir an einer guten Gesamtentwicklung interessiert sind.“ Negativ-Beispiele wie der holländische Pavillon fielen damit nicht in ihren Zuständigkeitsbereich, der bislang unbebaute Abschnitt zwischen dem Gebäude und der Finbox dagegen schon. Es sind auch längst nicht alle Bauten in Hannover geblieben: So wurde der Mexikanische Pavillon wie einige andere an einen anderen Ort versetzt, der Polnische Pavillon dagegen abgerissen. Teilweise war dies aber auch notwendig, da Gebäude nach diversen Bränden wie beim Spanischen Pavillon stark beschädigt wurden. Doch für das gesamte Gebiet sind bereits Ideen für Neues da. „Wir haben mittlerweile alle unsere Grundstücke an Investoren mit entsprechenden Ideen verkauft“, so Klaus, der seit 2013 an dem Vermarktungskonzept beteiligt war. Er empfand die Voraussetzung am Messegelände auch als „sehr gut“. Nach langjähriger Vermittlungsarbeit habe die Gesellschaft „ihren Job gemacht“, so Karsten Klaus. „Die Expo Grund wird jetzt auch aufgelöst. Sie hat auch keinen Einfluss mehr darauf, was da passiert – die Entwicklung liegt jetzt bei den Unternehmen.“
Ob alle vorgelegten Pläne nach der Corona-Pandemie noch umgesetzt werden (können), bleibe aber offen. Und auch wie es mit einzelnen Pavillons weitergeht, ist noch nicht endgültig geklärt. Zwei der Sorgenkinder sind jedoch auf einem guten Weg: Der Holländische Pavillon wurde von der Wohnkompanie erworben. Passend zur angrenzenden Hochschule soll hier der sogenannte „HY_live“-Campus entstehen. Neben 380 kleinen Apartments sind auch Arbeitsflächen und Lernräume geplant – all dies bei Erhalt der speziellen Architektur mit den Baumstämmen als tragende Säulen und das Gebäude umarmenden Treppen. Ebenso ist der Pavillon Litauens mittlerweile veräußert und soll ebenfalls in seiner Grundstruktur als gelber „Staubsauger“ erhalten bleiben. Das familiengeführte Immobilienunternehmen Beste Bau hat das Gebäude gekauft und plant nach einer notwendigen Renovierung ihren Sitz dorthin zu verlagern. Beide Unternehmen wollten sich auf Anfrage nicht zu den genauen Plänen sowie Kosten äußern.
Expo-Anlieger freuen sich über neuen Anschluss zur Stadt
Der anscheinend aufkommende Trend zum Grundstück im Expo Park haben andere Investoren wie Mousse T. schon früher erkannt. Der weltbekannte Musikproduzent war einer der ersten, die dort ein Gebäude erworben haben und von dort auch arbeiten. Er ließ den ehemaligen Belgischen Pavillon zu einem Musik- und Eventzentrum mitsamt Tonstudio und Restaurant umbauen. Heute ist der Bau besser bekannt als Peppermint Pavillon, was mit der seit 15 Jahren dort ansässigen Peppermint Event Agentur zusammenhängt. „Wir wollten den Pavillon erstmal am regionalen und dann im besten Fall am nationalen Markt platzieren“, erklärt Volker Tolksdorf von Peppermint Event die Unternehmenspläne. Heute betreut die Agentur insgesamt elf Locations in ganz Deutschland. Neben dem Peppermint Pavillon gehört am Expo-Gelände auch der berühmte „Expo-Wal“ zum Angebot, in dem außerhalb von Corona-Zeiten regelmäßig Feiern und Gottesdienste stattfinden. Einen ehemaligen Pavillon zu nutzen birgt für Tolksdorf Vorteile ebenso wie Nachteile: „Zum einen ist es aufgrund der außergewöhnlichen Architektur des Gebäudes etwas Besonderes und man kann rund um den Peppermint Pavillon auch immer eine Geschichte erzählen. Zum anderen sind die Gebäude nur für ein halbes Jahr gebaut worden – der Renovierungs-, Sanierungs- und Instandhaltungsgrad ist dann nicht zu unterschätzen“, muss der Eventmanager eingestehen. Dennoch sei der Standort lohnenswert, weil sich eben so viel in den letzten Jahren getan habe – und auch derzeit noch tut.
Weitere Änderungen an dem Standort kommen indirekt durch den nördlich angrenzenden Bereich. Dort entsteht ein neuer Stadtteil namens Kronsrode. Das Motto „Draußen in der Stadt“ gilt auch für das Expo-Gelände, welches durch die Erweiterung der Stadt besser angebunden sein soll. Wohnen in Kronsrode, zur Fuß zur Arbeit in dem Expo-Park – so die Vorstellung der Planer. Für Volker Tolksdorf ist das Projekt als Pavillon-Mieter „rein betriebswirtschaftlich nicht relevant“, wohl aber für das Image, welches dem Messegelände bis heute nachhängt. „Durch das Andocken von Kronsrode ist es in der Wahrnehmung der Leute alles Hannover und nochmal enger beieinander“, meint er. Für Hanova-Geschäftsführer Karsten Klaus ist es ein „tolles Gebiet, direkt an der Natur, wo auch Familien gerne wohnen“. Zudem sei die Anbindung an das Verkehrssystem optimal. Anscheinend brauchte es aber auch diesen zusätzlichen Stadtteil, um den Expo-Park mit seiner Lage an der südlichen Stadtgrenze in der breiten Wahrnehmung wieder an Hannover anzubinden.
Dabei sind die Pavillons und der Expo-Park nicht die einzigen Dinge, die heute noch von der Weltausstellung übrig sind. So wurde für eine bessere Anbindung des Messegeländes die Stadtbahnlinie 6 bis zur Haltestelle „Messe/Ost“ verlängert. Um die geplanten Besuchermassen ohne lange Wartezeiten zur Expo und auch innerhalb Hannovers zu befördern, wurde auch eine komplett neue S-Bahn geschaffen. Von all dem profitiere Hannover noch heute, so Dennis Dix von der Stadt Hannover. „Die gesamte Region hat durch die Expo 2000 einen enormen Entwicklungsschub erfahren.“ Allerdings wäre es mit wirtschaftlichen Zahlen für diesen Erfolg „nicht so einfach“. Die bekannten Zahlen zu der Weltausstellung sprechen stattdessen für enttäuschte Erwartungen: Lediglich 18 Millionen Besucher kamen nach Hannover, weniger als halb so viele wie geplant. Ein Grund dafür lag in den überteuerten Ticketpreisen – erst nach Einführung eines günstigeren Abendtickets kamen auch mehr Interessierte. Und die sahen nicht nur ausgefallene Pavillons, sondern erlebten auch die verschiedenen Länder mit ihren kulinarischen und kulturellen Spezialitäten.
Expo-Museum bewahrt Erinnerungen – und sucht neue Räume
Um diese Erlebnisse und kleinen Details in Erinnerung zu behalten, gründete sich nach Ende der Weltausstellung das Exposeeum – ein Museum für Exponate und fotografische sowie filmische Rückblicke auf das Großereignis. Fast 20 Jahre lang konnten Expo-Begeisterte sich gegenüber des Deutschen Pavillons in Erinnerungen schwelgen, bis das Exposeeum im Oktober 2019 überraschend schließen musste. „Wir hatten viel geplant zum 20-jährigen Jubiläum, jetzt mussten wir alle Ausstellungsstücke erstmal zwischenlagern“, bedauert Maurice Semella, Archivleiter im Exposeeum. Mehr als 500 Quadratmeter Ausstellungsfläche fielen für das Museum nach der Kündigung durch den neuen Eigentümers weg. Bis heute, denn neue Räumlichkeiten sind noch nicht gefunden. „Durch Corona verzögert sich alles, aber wir sind an neuen Immobilien dran“, sagt der 23-Jährige. „Aktuell befinden wir uns daher in einer Art „Dornröschenschlaf“, aus dem wir hoffentlich bald wieder aufwachen werden.“ Das Interesse der Leute an dem Exposeeum sei weiterhin ungebrochen. Und auch zwei Jahrzehnte nach Ende der Weltausstellung in Hannover bekommen der Verein und seine 20 aktiven Mitglieder noch verschiedenste Gastgeschenke. „Eine Frau aus Kleefeld hat uns letztens noch Sitzkissen aus dem Jemen-Pavillon geschenkt. Wir freuen uns da über jede Spende und weitere Erinnerungsstücke der Expo 2000“, sagt Semella. Ziel des Exposeeums sei es, „etwas zu bewahren“, das Event war „eine einmalige Sache“.
Doch auch der ehrenamtlich aktive Archivleiter sieht die Probleme auf dem Expo-Gelände. Neben den abgerissenen oder an neue Orte versetzten Pavillons würden die verfallenen Gebäude wie der Holländische oder Litauische Pavillon die Extreme abbilden. „Am Ende holt sich die Natur alles wieder“, so Maurice Semella in Anspielung auf das Expo-Motto „Mensch – Natur – Technik“. Er selbst habe nicht viele Erinnerungen an die Weltausstellung im Jahr 2000, sei aber beeindruckt, wie sich die niedersächsische Landeshauptstadt präsentiert habe. „Man hat gezeigt, dass Hannover Weltstadt kann und auch weltoffen ist – und die Menschen haben sich in Hannover verliebt“, schwärmt Semella. Einiges bleibe außerdem unabhängig vom Alter bei den Leuten hängen. Für Volker Tolksdorf von Peppermint Event waren der „Deutsche Pavillon mit den riesengroßen konkaven Glasflächen“ und der Planet M, heute umfunktioniert zu Hochschulräumen, die Highlights der Weltausstellung. Und Hanova-Geschäftsführer Karsten Klaus blieb die Szene Erinnerung „wie Birgit Breuel und Oberbürgermeister Herbert Schmalstieg sich in den Armen gelegen haben“ nach der Expo-Vergabe an Hannover. Auf dem Messegelände selbst seien es die Eindrücke der verschiedenen Nationen mit ihren Pavillons gewesen.
So verbindet jeder etwas anderes mit der Weltausstellung 2000 in Hannover – und nicht immer sind die ersten Gedanken daran verfehlte Erwartungen, eine fragwürdigen Nachnutzung sowie verfallende Pavillons. Um in Zukunft die Zweifel verschwinden zu lassen, soll sich in den kommenden Jahren viel auf dem Expo-Gelände verändern. Übriggeblieben sind aber auch die positiven Erinnerungen und ein gewandeltes Image Hannovers. Oder wie es Maurice Semella vom Exposeeum zusammenfasst: „Der Geist der Expo lebt weiter!“